
Lost in Navigation
Ray Petry äußert sich über die Vor- und Nachteile, während der Fahrt ein Navigationssystems zu verwenden, und weist darauf hin, worauf man achten sollte
Text von John Sandberg
Für die Gegner der GPS-Navigation stellt das Navi eine gefährliche Ablenkung dar, die die elementare Freude am Motorradfahren trübt und eine Generation von Dummköpfen hervorgebracht hat, die zwar genau wissen, in welche Richtung sie fahren müssen, die aber keine blasse Ahnung davon haben, wo sie gerade sind. Das Navi ist für seine Kritiker ein Sinnbild für alles, was in unserer Technologie-verseuchten Welt so alles falsch läuft. Für die Fans der GPS-Navigation hingegen stellt das Navi nicht nur eine Orientierungshilfe dar, sondern es sorgt auch für mehr Sicherheit und für ein insgesamt angenehmeres Erlebnis beim Motorradfahren. Ihrer Meinung nach hat das Navi mehr Probleme gelöst als verursacht.
Disruptive Technologie
In der Zeit, seit mobile GPS-Geräte eine globale Positionierung auch für zivile Zwecke ermöglichen, hat sich die Art und Weise, wie sich Menschen orientieren, verändert. Die meisten sagen, dass es sich dabei um eine Veränderung zum Besseren handelt, aber manche sind sich da nicht so sicher. Größtenteils verschwunden sind gefaltete Landkarten aus Papier und müde alte Witze über Männer, die sich weigern, an Tankstellen nach dem Weg zu fragen. Mit der ständigen Verfügbarkeit von Smartphones und Infotainment-Systemen kennen wir jetzt immer den schnellsten Weg zu Omas Haus oder zum nächsten Restaurant und wissen genau, wie lang es noch dauert, bis wir dort sind.
Aber mit dem Guten kommt auch das Schlechte. Die ein oder zwei Sekunden, die wir auf den Bildschirm schauen, um unsere Position zu überprüfen, könnten genau der Moment sein, in dem ein Reh den Weg kreuzt, ein anderer Verkehrsteilnehmer bremst oder eine Gefahrenstelle vor uns auftaucht.
“Das Problem mit dem Navi ist das gleiche wie das mit dem Wechsel des Radiosenders, mit dem Griff nach einer Flasche Wasser oder mit anderen Dingen, die uns von der vollen Konzentration auf das Fahren ablenken”, sagt Ray Petry, Betriebs- und Schulungsleiter an der Harley-Davidson™ Riding Academy und jemand, der mit dem Navigationssystem seiner Road Glide® Special Erfahrung gesammelt hat. “Menschen sind nicht wirklich multitaskingfähig, die meisten von uns können sich nur auf eine Sache wirklich konzentrieren. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit einer anderen Sache zuwenden als dem Fahren – und genau das tun wir für einen Augenblick, wenn wir zum Beispiel checken, wie weit es noch bis zum nächsten Abzweig ist – dann sollten wir das so geschickt und so sicher wie möglich tun.”
Nutze ein Navi erst während der Fahrt, wenn Du seine Bedienung beherrschst
Ray ist der Meinung, dass ein Navi das Motorradfahren sicher und angenehm machen kann, wenn es richtig eingesetzt wird. Wenn es einen Grundsatz bei der Verwendung eines Navis oder eines anderen Zusatzgerätes auf dem Motorrad gibt, dann lautet der, dass wir das Gerät beherrschen müssen, bevor wir es tatsächlich während der Fahrt einsetzen. Das bedeutet, man sollte erst einmal im Stand üben.
“Keiner von uns sollte während der Fahrt lernen, ein Navigationssystem zu bedienen”, sagt Ray. “Stattdessen sollte man sich auf das Bike setzen, während es geparkt ist, und so lange die Bedienung des Navis üben, bis man wirklich alle Funktionen im Griff hat. Man sollte es erst während der Fahrt einsetzen, wenn einem die Nutzung wirklich in Fleisch und Blut übergegangen ist.”
Für Ray ist dies ebenso wichtig, wie die Bedienung des Motorrads zu beherrschen. “Als wir das Motorradfahren gelernt haben, mussten wir uns zum Beispiel so sehr auf das Schalten konzentrieren, dass darunter unsere Aufmerksamkeit für die Straße vor uns gelitten hat”, sagt er. “Die Fahrspur zu wechseln, ist ein ähnliches Thema. Diese Aufgaben erfordern ein hohes Maß an Konzentration, bis wir sie verinnerlicht haben. Wenn ich Fahranfänger unterweise, üben wir den Spurwechsel so lange, bis er von einer bewusst ausgeführten Aktion, die ein hohes Maß an Konzentration erfordert, zum unbewussten Automatismus wird. Mit dem Schalten verhält es sich genauso. Mit genug Übung wird daraus ein atomatisierter Vorgang. Genauso sollte es mit der Bedienung der Audioanlage und des Navigationssystems sein.”
Kurz gesagt, der Fahrer soll die Technik beherrschen, nicht umgekehrt.
Sei aufmerksam und konzentriere Dich in erster Linie auf das Fahren
Ein sicherer Motorradfahrer hat seine gesamte Umgebung im Blick einschließlich der Straße, der Autofahrer, der Fußgänger, der Tiere und aller möglichen Gefahren. Aber sicheres Fahren bedeutet nicht nur, aufmerksam zu sein, sondern auch Prioritäten zu setzen, worauf wir uns fokussieren. Laut Ray sollten wir unsere Aufmerksamkeit beim Fahren wie folgt priorisieren:
1. Auf die andere Verkehrsteilnehmer, Verkehrszeichen und Signale achten.
2. Die Straße einschließlich des Fahrbahnzustands (z.B. Löcher, Sand, Risse, Schotter) und potentieller Gefahrenpunkte (z.B. Fahrspurenden, Einmündungen) im Blick haben.
3. Nach Fluchtwegen Ausschau halten.
“Auf das Navi schauen, um festzustellen, wie weit das eingegebene Ziel noch entfernt ist” taucht nicht unter den Top Drei auf – wenn man Ray glauben darf, aus gutem Grund: “Meiner Meinung nach sollten wir uns nicht länger als eine halbe Sekunde vom Fahren ablenken lassen, sonst verletzen wir unsere Aufmerksamkeitsprioritäten.”
Aber was soll man tun, wenn man ein paar Sekunden lang auf das Navi schauen muss? “Verlasse die Straße”, sagt Ray. “Du solltest nicht auf dem Seitenstreifen halten, sondern auf einen Parkplatz oder in eine Wohnstraße fahren, wo man in Ruhe anhalten und sich mit dem Navi beschäftigen kann. Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst, um Dich neu zu orientieren oder Dein Navi neu zu programmieren, bevor Du Dich wieder auf den Weg machst.”
Programmiere Dein Navi vor der Fahrt und nutze die akustischen Anweisungen
Als Nutzer des Navigationssystems seiner Road Glide Special hat Ray Erfahrungen mit der Technologie aus erster Hand. Seine Erkenntnisse haben ihn wichtige Lektionen für den sicheren Umgang mit seinem Navi gelehrt.
“Erstens: Vermeide es, dem Navi während der Fahrt zu viel Aufmerksamkeit zu schenken”, sagt er. “Wenn das System mehr als einen kurzen Blick oder einen Knopfdruck erfordert, warte damit, bis Du irgendwo anhalten kannst. Und gib Dein Ziel immer ein, bevor Du losfährst.
Zweitens: Verwende, wann immer möglich, die Audiotechnologie des Navis, damit Du die Anweisungen des Navis entweder über das Soundsystem Deiner Maschine oder über Dein Headset hören kannst.
Und drittens: Ein Navi ist eine Orientierungshilfe – nicht mehr, nicht weniger. Zögere nicht, eine Anweisung zu ignorieren, wenn die Verkehrssituation gerade Deine ganze Aufmerksamkeit erfordert oder Du im Zweifel bist, ob Du die Anweisung richtig verstanden hast. Mit anderen Worten: Bieg nicht rechts ab, wenn man gar nicht rechts abbiegen darf oder kann.”
Für Ray ist das Empfangen von akustischen Anweisungen weniger ablenkend als das Verfolgen einer Route auf einem Bildschirm, so dass er seine Aufmerksamkeitsprioritäten in der Regel nicht aufgeben muss. Harley-Davidson bietet mehrere Navigationssysteme an, die von den Infotainmentsystemen ausgewählter Modelle bis hin zu Stand Alone Navis reichen, die mit Bluetooth-fähigen Headsets und Lautsprechern gekoppelt werden können. Dein Harley-Davidson Händler vor Ort kann Dir alle Optionen erklären.
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen?
Alle, die glauben, dass GPS-Navigation nicht sicher genug ist und das Ende der Welt einläutet, sollten sich vor Augen führen, dass die “guten alten Zeiten” vielleicht auch nicht so sicher waren, wie wir sie in Erinnerung haben. Ray erinnert sich genau: “Bevor es GPS gab, habe ich immer eine Beschreibung meiner geplanten Route auf Klebeband oder Papier geschrieben und an der Verkleidungsscheibe oder auf dem Tank meiner Maschine befestigt. Das Lesen dieser Liste hat mehr Konzentration erfordert, als auf einen Bildschirm zu schauen oder akustischen Wegbeschreibungen zu lauschen.”
Er erinnert sich auch an verpasste Abzweige und an haarsträubende Manöver, um in letzter Sekunde doch noch die richtige Richtung einzuschlagen. Das macht ein Navi besser, indem es blitzschnell die Route neu berechnet, wenn man eine Abbiegung verpasst hat oder seine Route ändern will. “Mit einem Navi bist Du nie verloren”, sagt er. “Selbst wenn Du einen Abzweig verpasst hast oder falsch abgebogen bist, gibt es keinen Grund zur Panik, denn das Navi wird Dich umleiten. Es gibt also keine Veranlassung, in letzter Sekunde ein riskantes Manöver zu fahren, nur um auf der Route zu bleiben.”
Aber hat die nahezu universelle Abhängigkeit von der GPS-Navigation nicht vielleicht unser Gefühl für den Platz in der Welt ruiniert und unseren Orientierungssinn verkümmern lassen? Mag sein. Zweifellos ist es immer noch nützlich, bei der Vorbereitung einer Fahrt Landkarten aus Papier zu verwenden, um eine Route im Kontext von etwas zu sehen, das größer ist als die unmittelbare Umgebung der Straße, auf der man gerade fährt. Dann erstellt man nämlich einen mentalen Schnappschuss der Karte, der während der Fahrt nützlich sein kann und eine Vorstellung davon vermittelt, wo man sich gerade befindet.
Nimm es in Kauf, Dich zu verfahren und Umwege zu machen
Frag Dich, was Du am Motorradfahren wirklich liebst. Wenn für Dich Freiheit, Abenteuer und Entdeckungen dazu gehören, dann tu Dir selbst den Gefallen und schalte das elektronische Helferlein ab, wann immer es Dir in den Kram passt.
“Das Navi empfiehlt Dir in der Regel die schnellste Route und nicht die interessanteste, so lange Du es nicht anders programmierst”, sagt Ray. Die interessantesten Entdeckungen aber warten meist auf einem Umweg auf Dich, und die unvergesslichsten Strecken findest Du, wenn Du Dich verfahren hast. Also lass es geschehen, verfahre Dich und nimm die verkehrsarme Nebenstrecke.
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