Halt dick senkrecht

Zwei kleine Kontaktflächen aus Gummi – das ist alles zwischen Dir und dem Asphalt, was Dich in der Senkrechten hält und Dir dabei hilft, die eingeschlagene Richtung beizubehalten. Deshalb kümmere Dich um Deine Reifen. Hier ein paar Tipps

TEXT VON RAY PETRY

Jeder weiß, man sollte den Reifendruck regelmäßig prüfen. Aber wie oft ist “regelmäßig”? Das kommt darauf an. Wenn Du täglich fährst, dann ist einmal in der Woche okay. Wenn Du nur am Wochenende unterwegs bist, dann steht eine Prüfung vor der ersten Ausfahrt an. Und wenn Du auf große Tour gehst, dann solltest Du den Luftdruck vor der Abfahrt prüfen. Miss den Reifendruck “kalt”, also bevor Du mit dem Motorrad gefahren bist oder es auch nur in die Sonne stellst. Richte Dich bezüglich des Reifendrucks nach den Angaben im Handbuch und nicht nach dem Wert auf der Seitenwand des Reifens – der gibt den maximal zulässigen Druck an. Präge Dir ein, wie die Reifen Deines Bikes mit dem korrekten Druck aussehen, und wirf einen Blick auf die Reifen, wann immer Du vorhast loszufahren. Sollte Dir etwas ungewöhnlich erscheinen – sei es ein geringerer Abstand zwischen Felge und Boden oder eine größere Aufstandsfläche das Reifens – ist das ein Hinweis für Dich, genauer hinzusehen und den Reifendruck zu prüfen. Der Reifen könnte nämlich Luft verlieren. Darum ist es besser herauszufinden, was los ist, bevor Du die geplante Fahrt antrittst.

Um mit Blick auf die Reifen auf der sicheren Seite zu sein, braucht es allerdings ein bisschen mehr als den korrekten Luftdruck. Du solltest auch regelmäßig den Allgemeinzustand der Reifen prüfen. Sind zum Beispiel Risse in der Seitenwand zu sehen? Steckt irgendein Fremdkörper im Profil? Haben sich Profilblöcke gelöst? Ist das Profil abgenutzt? Die Profiltiefe kann man anhand der Reifenverschleißanzeigen (Tread Wear Indicators TWI) des Reifens prüfen. Dabei handelt es sich um kleine Stege in den Profilrillen. Bei manchen Reifen lassen sich die TWI-Indikatoren anhand von Markierungen auf der Seitenwand leichter finden. Wenn man seinen Blick von der Markierung aus quer über das Profil schweifen lässt, stößt man unwillkürlich in einer der Profilrillen auf den entsprechenden Indikator. Man sollte alle Verschleißanzeigen rund um den Reifen suchen und prüfen, um ein Gesamtbild des Reifens zu erhalten. Spätestens, wenn das Profil so weit verschlissen ist, dass die Verschleißanzeigen bündig mit dem Positiv-Profil abschließen – was auf eine Profiltiefe von einem Millimeter hinweist – ist es in den meisten Ländern Zeit für einen neuen Reifen, in Deutschland, Österreich und der Schweiz sogar noch eher, denn hier ist eine Mindestprofiltiefe von 1,6 mm vorgeschrieben. An dieser Stelle gilt es, seine Fahrgewohnheiten mit ins Kalkül zu ziehen. Wenn Du ein Pendler oder Wochenendfahrer bist, kannst Du den Reifenwechsel recht gut im Voraus und zum richtigen Zeitpunkt planen. Wenn Du allerdings eine Fahrt quer durchs Land vor Dir hast, solltest Du den Reifenwechsel auf jeden Fall vor Antritt der Fahrt erledigen.

Auch wenn die Verschleißanzeige noch nicht darauf hinweist, dass die minimale Profiltiefe erreicht ist, könnten nämlich auf halbem Weg Deiner Tour neue Reifen fällig werden. Dann stellt sich die Frage: Passt ein Reifenwechsel in Deine Tourenplanung? Gibt es in der Nähe einen Motorrad- oder Reifenhändler? Hat der Händler Deine Reifengrößen am Lager und Zeit, die Reifen zu montieren? Manchmal ist es besser, einen Reifen vorzeitig zu erneuern, um nicht auf Reisen vor Probleme gestellt zu werden.

Beim Prüfen der Profiltiefe solltest Du gleichzeitig auf ungleichmäßige Abnutzung der Reifen achten. Ungleichmäßige Abnutzung kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel defekte Stoßdämpfer, falschen Reifendruck oder verschlissene Lenkkopflager. Du kannst die Ungleichmäßigkeit feststellen, indem Du mit der offenen Hand über die Reifenoberfläche wischst. Abgesehen von den Profilkanten gleitet Deine Hand sanft und gleichförmig über die Lauffläche eines intakten Reifens. Wenn du hingegen Wellen oder andere Unregelmäßigkeiten spürst, dann musst Du die Ursache dafür suchen und beseitigen sowie den Reifen erneuern.

Um mit Blick auf die Reifen auf der sicheren Seite zu sein, braucht es allerdings ein bisschen mehr als den korrekten Luftdruck

Darüber hinaus solltest Du bei Deiner Kontrolle auf Schnitte und Risse in der Lauffläche achten. Eine Straße mit rauer Oberfläche, scharfen Kanten, tiefen Schlaglöchern oder Steinschlag auf der Fahrbahn kann die Lauffläche oder sogar die Karkasse eines Reifens beschädigen. Achte bei der Kontrolle Deiner Reifen auf all diese Schäden. Die meisten davon stellen zwar nur eine leichte Beeinträchtigung der Reifeneigenschaften dar, manche aber sind ein echtes Problem und erfordern den Austausch des schadhaften Reifens. Im Zweifelsfall solltest Du Rücksprache mit Deiner Werkstatt halten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Alter eines Reifens, deshalb ist es wichtig zu wissen, wie man das Alter feststellt.

Am einfachsten ist es, die Seitenwand des Reifens auf Risse zu untersuchen. Gibt es welche, ist das ein untrügliches Zeichen für ein hohes Alter, weil der Gummi langsam spröde wird. In den meisten Ländern ist es Pflicht für die Reifenhersteller, den Produktionszeitraum des Reifens auf der Seitenwand anzugeben die letzten vier Ziffern der so genannten DOT-Nummer geben die Woche und das Jahr der Herstellung an. Reifen geht es wie Brot, sie altern – je frischer sie bei der Montage sind, umso besser. Reifenhersteller empfehlen in der Regel, montierte Reifen spätestens nach fünf Jahren zu erneuern. Diese Empfehlung ist für die meisten Vielfahrer irrelevant, weil sie es gewohnt sind, mindestens einmal im Jahr neue Reifen aufziehen zu lassen. Biker allerdings, die nur ein paar tausend Kilometer im Jahr fahren, müssen aufpassen. Ihnen kann es passieren, dass sie die Reifen ihres Motorrads nach fünf Jahren austauschen lassen müssen, obwohl deren Profil noch den gesetzlichen Bestimmungen genügt. In diesem Fall bestimmt das Herstellungsdatum auf der Seitenwand – oder die Risse in derselben – den Zeitpunkt des Reifenwechsels. Doch nicht nur die Seitenwand, auch die Lauffläche altert – je länger sie der Luft und dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, umso härter wird sie. Das bedeutet weniger Traktion, längere Bremswege und geringere mögliche Schräglage im Vergleich zum gleichen Reifen im Neuzustand. Wenn man seinen Fingernagel nicht mehr in die Laufflächen drücken kann, ist die Gummimischung zu alt. Das bedeutet, es ist Zeit für neue Reifen, auch wenn sie noch jede Menge Profil aufweisen. Da stellt sich die Frage, wie man sicherstellen kann, möglichst neue Reifen zu bekommen. Gute Chancen hat man, wenn man seine Reifen bei einem Händler mit hohem Lagerumschlag kauft. Dort bleibt nichts lange liegen, und die Reifen haben keine Chance, im Lager zu altern. Falls Du Bedenken hast, sprich Deinen Händler darauf an, wenn Du Dein Bike abgibst – besser, alles zu klären, bevor die Reifen montiert werden, als zu argumentieren, wenn die Maschine mit den neuen Reifen vor dem Laden steht.

Es wird sehr kontrovers diskutiert, ob man schlauchlose Reifen bei einem Platten mit einem Reparatur-Set flicken soll. Meine Meinung dazu: Willst Du Dein Motorrad und Dein Leben einem reparierten Reifen anvertrauen? Reifenhersteller jedenfalls raten davon ab – bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Die haben meist mit der Größe des Schadens zu tun sowie damit, an welcher Stelle er in der Lauffläche oder Seitenwand entstanden ist.

Diese Ausnahmen mal außen vor – die meisten Reifenwerkstätten tendieren dazu zu sagen “Mach es nicht!” Eine solche Reparatur taugt bestenfalls dafür, eine Reifenpanne unterwegs zu beheben, um dann eine Werkstatt anzulaufen und den Reifen tauschen zu Lassen. Man braucht dafür allerdings ein Reparatur-Kit, Druckluft oder wenigstens eine Luftpumpe und eine Menge Muskelschmalz. Im Einzelfall kann es wesentlich unaufwändiger sein, per Handy Hilfe zu rufen als sich in den Dreck zu legen, um den Reifen zu reparieren und aufzupumpen. Wenn Du in Erwägung ziehst, ein Reparatur-Kit für schlauchlose Reifen zu kaufen, dann musst Du Dir sicher sein, welche Art Reifen Dein Motorrad hat. Schlauchlose Reifen (auf der Seitenwand steht “tubeless”) werden meist auf Gussrädern verwendet, während auf Drahtspeichenrädern meist Reifen mit Schlauch zum Einsatz kommen (auf der Seitenwand steht “tube type”), bei denen eine Reparatur noch viel komplizierter ist. Auf jeden Fall sollte eine Reifenreparatur immer nur ein Provisorium sein, um in moderatem Tempo zur Werkstatt zu fahren und den Reifen ersetzen zu lassen.

Manchmal ist es besser, einen Reifen vorzeitig zu erneuern, um nicht auf Reisen vor Probleme gestellt zu werden

Wenn es Zeit ist, neue Reifen zu kaufen, gilt es verschiedene Dinge zu beachten – zum Beispiel den Lastindex, den Geschwindigkeitsindex und die Gummimischung. Achte darauf, dass Du nur Reifen aufziehen lässt, die der maximalen Zuladung und der Höchstgeschwindigkeit Deines Motorrads entsprechen. Lastindex und Geschwindigkeitsindex, die auf der Seitenwand des Reifens stehen, müssen mindestens so hoch sein wie die Indizes, die in den Fahrzeugpapieren Deines Motorrads aufgeführt sind. Die Gummimischung der Lauffläche beeinflusst die Haltbarkeit und andere Eigenschaften des Reifens. Wie so oft im Leben kann man auch in diesem Fall nicht alles zugleich haben. Reifen mit viel Grip verschleißen relativ schnell, Reifen, die lange halten, bieten nicht viel Haftung. Besprich mit Deinem Händler, welche Reifen am besten zu Deinen Ansprüchen an Lebensdauer, Traktion und Performance bei Nässe passen.

Wenn Du neue Reifen drauf hast, fahr erst einmal besonders vorsichtig. Neue Reifen müssen erst eingefahren werden, weil sie bei der Herstellung mit einer extrem glatten Oberfläche aus der Heizform kommen. Sie tragen meist auch noch Reste von dem Trennmittel, das hilft, sie leichter aus der Form zu holen, aber beim Kontakt mit der Straße den Grip verschlechtert. Und schließlich kann es auch nach sorgfältigster Montage sein, dass der Reifen noch nicht rundum richtig auf der Felge sitzt und sich erst einmal setzen muss. Das alles zusammen bedeutet, dass Du es erst einmal langsam angehen lassen solltest. Es könnte sein, dass sich Dein Bike anders verhält als sonst, bis die neuen Reifen angefahren sind. Vor allem solltest Du die Schräglage in Kurven erst nach und nach erhöhen, damit die gesamte Lauffläche der Reifen angefahren wird und der Reifen sich auf der Felge setzen kann.

Auch die Laufrichtung ist bei Motorradreifen sehr wichtig. Die Art, wie sich die Gewebelagen im Reifen überlappen, hängt bei Vorderrad- und Hinterradreifen unterschiedlich von der Laufrichtung des Reifens ab. Eine Laufrichtungsanzeige in Form eines Pfeiles auf der Seitenwand des Reifens hilft den Monteuren bei der korrekten Montage. Wenn Du jemals sehen solltest, dass ein solcher Pfeil an Deinem Bike in die falsche Richtung zeigt, solltest Du das schleunigst ändern lassen.

Autoreifen mögen in manchen Fällen gut auf einem Motorrad aussehen, sind aber völlig ungeeignet. Lass Dich nicht von Internetseiten irritieren, auf denen zu Autoreifen geraten wird, schließlich gibt es auch Webseiten, auf denen behauptet wird, dass die Erde eine Scheibe sei. Die Wahrheit ist, dass Motorradreifen speziell für Motorräder konstruiert wurden, dass Autoreifen nicht für das Fahren in Schräglage taugen und dass die Erde eine Kugel ist. Also überlass die Autoreifen den Bürgerkäfigen.

Ein letzter Tipp: Sprays zum Schutz der Seitenwand von Autoreifen sind nichts für Motorradreifen. Diese Sprays erzeugen eine glatte Oberfläche, die Du ganz bestimmt nicht auf der Lauffläche Deiner Reifen oder auf Deinen Bremsscheiben möchtest. Wenn Du unbedingt ein solches Spray einsetzen willst, dann mach das mit einem Aufsatz auf der Spraydose, der absolut zielgenaues Sprühen ermöglicht.

Mit ein bisschen Nachdenken und regelmäßiger Kontrolle kannst Du die Fahrt mit Deinem Bike in vollen Zügen genießen, weil Du weißt, dass die Reifen so gut sind, wie sie nur sein können. Wenn Du auf Deine Reifen aufpasst, dann werden sie auf Dich aufpassen.

Ray Petry ist Certified Riding Academy Coach und Mitglied des Riding Academy™ Teams bei der Harley-Davidson® Motor Company in Milwaukee.


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