
Der Kilometerfresser
Joris Briand hat einen unstillbaren Hunger auf Reisen. Sein neuestes Abenteuer hat ihn in das herrliche Kaukasusgebirge zu neuen Höhen geführt
“La Mangeur de Miles” (“Der Kilometerfresser”) ist der Spitzname, den mir ein Motorradmagazin gegeben hat, als ich einen Artikel über meinen ersten Roadtrip in Nordamerika geschrieben habe. Mein Motorrad war und ist eine H-D® Road Glide® Special von 2016, der ich den Namen Bucéphale gegeben habe – nach dem berühmten Pferd von Alexander dem Großen namens Bucephalus. Sie hat jetzt 300.000 km auf dem Tacho, und sie hatte bereits drei Kontinente und 55 Länder unter den Rädern.
Ich bin 33 Jahre alt und fahre seit acht Jahren eine Harley®. Ich bin Mitglied des Fort Lauderdale H.O.G.® Chapters in Florida, und mit meinen Freunden aus dem Chapter habe ich die Freude am Fahren in der Gruppe und an Roadtrips durch die wilden Weiten der USA entdeckt.


Die Leute fragen mich oft, was mir das Motorradfahren eigentlich bringt, und ich sage ihnen, dass Bucéphale mir ein intensives Glück bereitet, mir ein Gefühl der Freiheit gibt und es mir ermöglicht, mich so einer Art Windtherapie zu unterziehen. Das bedeutet, dass ich beim Fahren den Kopf frei bekomme, mich wieder auf mich selbst konzentrieren und meine Persönlichkeit entwickeln kann. Dank meines Motorrads kann ich mich in meinem täglichen Leben anders ausdrücken, sowohl in der Art und Weise wie ich spreche, als auch wie ich mich bewege. Es ist zu einer vitalen Erweiterung meiner selbst geworden. Ohne meine Maschine leide ich unter einer Art Entzug.
Mit meinem bislang letzten Roadtrip im Sommer 2024 wollte ich meinen Horizont erweitern, indem ich den Westen Asiens erkunde und damit meinen dritten Kontinent in Angriff nehme. Die Reise sollte in 25 Tagen über insgesamt 18.000 km gehen, und ich wollte dabei zwei Kontinente und 13 Länder durchqueren. In kultureller, historischer, geographischer und menschlicher Hinsicht war es einer der schönsten Roadtrips, die ich seit Beginn meines H-D Abenteuers unternommen habe. Die Reise wurde von einem unverrückbaren Termin bestimmt: Ich musste rechtzeitig zur Hochzeit meiner moldawischen Freunde in Chișinău in Moldawien sein.
Es war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Zuerst gab es einen rauschenden Empfang und eine bunte Party in der Hauptstadt. Am nächsten Tag haben wir uns im Dorf meiner Freunde nahe der Grenze zur Ukraine am Fluss Dnjestr getroffen, wo wir von morgens bis spät in die Nacht feierten, lokale Spezialitäten aßen und auf das Wohl unserer Gastgeber tranken.
Am darauffolgenden Tag erwartete mich ein weiteres Abenteuer – die Erkundung einer für mich neuen ukrainischen Stadt und das Kennenlernen von Freunden des H.O.G. Odessa Chapters. Ich fand eine lebendige, prächtige Stadt am Ufer des Schwarzen Meeres, in der ich mich vollkommen wohl fühlte – sie erinnerte mich an meine Heimatstadt Marseille in Frankreich. Das örtliche Chapter begleitete mich durch die Stadt zu einer stattlichen H-D Vertretung, die speziell wegen meines Besuchs an einem Montag geöffnet hatte.


Dann machte ich mich auf den Weg, um meine Freunde in Kiew zu sehen, die ich seit drei Jahren jährlich besuche. Die Herzlichkeit, mit der sie mich empfangen, ist immer ebenso groß wie ihre Freundlichkeit mir gegenüber. Ich habe einen unvergesslichen Abend in ihrem Clubhaus verbracht, das in H-D Farben und in ukrainischen Farben dekoriert war.
Wir sind dann gemeinsam nach Tschernihiw an der nördlichen Grenze der Ukraine zu Russland und Weißrussland gefahren, wo ich unbedingt die berühmten Kirchen und Klöster besuchen wollte. Danach sind wir dann weiter in das hübsche Städtchen Dnipro gefahren und haben einen Halt beim örtlichen Händler eingelegt. Wenn ich zu dieser Jahreszeit durch die Ukraine fahre und Spokoynaya Noch’ (Gute Nacht) von Kino höre, bin ich immer sehr bewegt, weil dieser Song einen in die Realität dieser Menschen eintauchen lässt, vor allem wenn man die Geschichte der ehemaligen UdSSR kennt.
Nach einem wundervollen Tag habe ich mich wieder auf den Weg nach Odessa gemacht, um eine letzte Nacht mit meinen Freunden vom H.O.G. Odessa Chapter zu verbringen. Von dort aus bin ich im Morgengrauen aufgebrochen, um eine Fähre über die Donau nach Rumänien zu nehmen. Ich war auf dem Weg in die Türkei, wo ich ein Land entdeckte, das mich verblüffte und faszinierte und das meinen Erkundungseifer verdoppelte. Als ich nach Istanbul hineingefahren bin, war ich sofort von der Schönheit der Stadt fasziniert. Ich beschloss, den Harley-Davidson Händler im Osten Istanbuls zu besuchen, um ein paar Souvenirs zu kaufen. Zu meiner großen Überraschung informierte der Manager des Ladens namens Zeynep die Mitglieder des H.O.G. İstanbul East Chapters über mein Kommen, die mich noch am selben Abend in ein Restaurant eingeladen haben. Es hat mir großen Spaß gemacht, neue Freunde kennenzulernen.
Ich bin entlang der türkischen Küste gereist, wo die Landschaft ebenso außergewöhnlich ist wie in den Wüsten weiter im Landesinneren. Entlang der Grenzen zu Syrien, dem Irak, dem Iran und zu Nachitschewan kam ich in surreale Landschaften, die man eher auf dem Mars vermuten würde. Bald bin ich in Georgien angekommen, und nachdem ich einige herrliche Schluchten durchquert hatte, die von mittelalterlichen Festungen überragt werden, habe ich die Grenze zu Armenien erreicht. Dieser winzige Binnenstaat ist geprägt von großem Mut und von einem enormen kulturellen und religiösen Erbe.


Ich habe die Hauptstadt Eriwan und die majestätischen Klöster des Landes erkundet, bis ich das Tatev-Kloster erreichte – nach einer Stunde Anfahrt auf einer kurvenreichen Straße mit atemberaubend steilen Schluchten. Ich bin stundenlang über schlechte Straßen gefahren, manchmal im Bau, manchmal völlig unbefestigt und ohne jeden Asphalt, bevor ich wieder in Georgien angekommen bin, in der “Perle des Kaukasus”. Ich steuerte die alte Militärstraße zur russischen Grenze an mit dem Ziel, die Gergeti-Dreifaltigkeitskirche zu erreichen, die auf einem Berg nahe der tschetschenischen Grenze thront. Vor mir lag eine imposante Landschaft mit einer Bergkette, die sich auf mehr als 5.000 Meter erhebt.
Der Höhepunkt meiner Reise nach Georgien sollte die Gemeinde Ushguli auf der anderen Seite des Kaukasus sein. Die Zufahrt war sehr schwierig, weil sich die Straßen noch im Bau befanden und häufig von Überschwemmungen heimgesucht werden. Nach vier Stunden über kleine Pässe in Schlamm und Regen erreichte ich schließlich den über mir thronenden Shkhara-Gletscher mit Tränen in den Augen über das, was ich gerade mit Bucéphale erreicht hatte. Ushguli ist ein Ort für Wanderer und Geländemotorräder. Ein paar Trailbiker starrten mich mit offenem Mund an, betrachteten mein Motorrad mit den Reservereifen hinter mir und das breite Grinsen in meinem Gesicht – stolz darauf zu zeigen, was ein H-D Tourenmotorrad so alles kann, wenn der Fahrer sich mit ihm auskennt.
Nachdem ich einige Zeit damit verbracht hatte, diese unglaubliche Kulisse zu genießen, war es für mich an der Zeit, zurückzukehren. Ich fuhr die höchste Straße des Kaukasus hinunter zum Schwarzen Meer. Ich bin der Küste nach Bulgarien gefolgt und 16 Stunden lang durch die Türkei gefahren, um die prächtigen und abwechslungsreichen Szenerien des Landes zu genießen. Am Ende des nächsten Tages erreichte ich Rumänien, wo einige Freunde auf mich warteten, um mit mir im Dorf Bârsana zu Mittag zu essen.
Ich vermisste inzwischen meine Tochter und meine Familie sehr, und es war an der Zeit, nach Hause nach La Ciotat in Frankreich zurückzukehren – mit ein paar kurzen Stopps auf dem Weg: zuerst in Siófok, am Ufer des Plattensees in Ungarn, dann im italienischen Triest mit seiner Architektur im Wiener Stil. Ich kam mit einem Leuchten in meinen Augen von dieser Reise zurück, die so bereichernd war und mich hat wachsen lassen. Ich habe einen Teil von mir in diesen fernen Ländern zurückgelassen. Unabhängig von Land, Kultur oder Sprache bleibt H.O.G. der größte Familien- und Motorradclub der Welt!
Mehr über Joris bisherige Abenteuer erfährst Du in der Ausgabe 2023 von The Enthusiast®










Schlagwörter:
Lies weitere Geschichten der Harley Owners Group!
VERANSTALTUNGSKALENDER
Informationen zu weiteren regionalen Veranstaltungen gibt es in Kürze an dieser Stelle – bleibt dran!
Kroatischer Sonnenschein
Vom 12. bis zum 15. Juni 2025 hat in Medulin die 31. European H.O.G. Rally unter blauem Himmel stattgefunden
Lucifers Triumph
In Kroatien wurden die bislang kreativste Fantasien der europäischen Harley Customizer dieses Jahres prämiert.