
Amerikanische träume
Der Foto-Journalist Olivier Touron erzählt, wie das großzügige Geschenk eines Freundes sein Leben in mehr als einer Hinsicht verändert hat
TEXT UND FOTOS VON OLIVIER TOURON
Mein Heimatland ist Frankreich. Ich wurde dort vor etwas über 53 Jahren geboren und habe dort auch fast fünfzig Jahre lang gelebt. Zwanzig Jahre lang bin ich als Foto-Journalist durch die ganze Welt gereist, um über ihre Bewohner, ihre Länder sowie über ökonomische und politische Themen zu berichten, aber immer wieder bin ich nach Frankreich zurückgekehrt.
Das Jahr 2014 – ich hatte gerade als Mittvierziger meine Midlife-Crisis und dachte über den Sinn des Lebens nach – hat eine Wende in mein Leben gebracht. Mein ziemlich bester Freund Thierry Butzbach machte mir zum Geburtstag ein Geschenk, das mein Leben verändert hat: ein kleines Motorrad mit einem 125 ccm Motor. Ein besseres Geschenk hätte er sich gar nicht ausdenken können. Von da an bin ich tausende von Kilometern mit japanischen und europäischen Motorrädern unterschiedlicher Größe gefahren – erst innerhalb von Frankreich, dann in ganz Europa.
2017, als ich drei intensive Motorrad-Jahre hinter mir hatte, sprach mich jemand von Leica Camera France an – eine Firma, mit der ich zusammenarbeite – und erzählte mir von einem Reportage-Projekt, das mich als Motorradfahrer interessieren könnte. Ein französisches Team plante für das Jahr 2018, im Gedenken an das hundert Jahre zurückliegende Ende des Ersten Weltkriegs die USA mit einer alten Harley-Davidson® zu durchqueren, die bei Kriegsende von amerikanischen Soldaten auf französischem Boden zurückgelassen worden war. Das Projekt versprach ein großes Abenteuer zu werden, das die Verbundenheit zwischen unseren beiden Ländern widerspiegelt.


Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf, diese Geschichte in Bildern zu erzählen, und Thierry, selbst ein Motorrad-Journalist, sollte mein Reisebegleiter sein. Ich erhielt die Gelegenheit, zum ersten Mal eine Harley-Davidson zu fahren: eine olivfarbene Road King® Special Modelljahr 2018, die mir von H-D Europa zur Verfügung gestellt wurde, einem wichtigen Partner des Projektes namens ‘Operation Twin-Links’. Über mehrere Monate dokumentierte ich die Restaurierung der alten Harley und ihres Beiwagens, diverse Versuchsfahrten mit dem Gespann sowie den Besuch eines Friedhofs im Nordosten von Frankreich, auf dem amerikanische Soldaten liegen, die im Krieg gefallen sind.
Im Juni 2018 überquerte die alte Harley® per Schiff den Atlantik und landete im Hafen von Mobile in Alabama an. Die Besatzung für das Gespann machte sich auf den dreimonatigen Road Trip durch die USA, der sie von Florida über die H-D Zentrale in Milwaukee, wo das Motorrad ein Jahrhundert zuvor gebaut worden war, nach Kalifornien führen sollte. Thierry und ich begleiteten sie auf zwei wunderschönen nagelneuen Harley Motorrädern, die von H-D USA gestellt wurden: Thierry auf einer schwarzen Heritage Softail® mit 1.868 ccm Hubraum, ich auf einer Ultra Limited mit 1.750 ccm Motor. Mit einer Harley durch die USA zu fahren, war für mich die Erfüllung eines Traumes. Ich fühlte mich wie auf einem anderen Planeten, wenn ich daran dachte, dass ich erst drei Jahre zuvor auf einer kleinen Maschine mit dem Motorradfahren begonnen hatte.




Mit einer Harley® durch die USA zu fahren, war für mich die Erfüllung eines Traumes. Ich fühlte mich wie auf einem anderen Planeten
Natürlich hatten wir von der Sturgis Motorcycle Rally gehört. Wir nutzten die Gelegenheit und trennten uns für eine Weile von dem Gespann, um zu den Black Hills zu fahren. Dort trafen wir einen Motorradclub von Native Americans, deren Treffen mit der Sturgis Rally zusammenfiel. Ich war auf diesen Club durch ein Foto aufmerksam geworden, das einen Native American auf einem Pferd und einen anderen auf einem Motorrad zeigt. Beide sind auf dem Bild im Standing Rock Reservat in North Dakota zu sehen, wo sie mit ihren Stammesbrüdern gegen den Bau einer Öl-Pipeline kämpften, weil sie befürchteten, dass das Öl das Grundwasser verschmutzen und damit ihre Wasserversorgung gefährden könnte. Und so kam es, dass ich auf der weltgrößten Motorradveranstaltung in die Welt der Motorradclubs eingetaucht bin.
An dem Treffen der Native Americans nahmen Dutzende von Bikern aus dem ganzen Land teil, und ihr Präsident hatte eine Bekannte gebeten, bei den Ausflügen als Road Captain zu fungieren. Ihr Name ist Shelly Denny, sie gehört zum Stamm der Ojibwe und stammt eigentlich aus Minnesota. Sie ist ein Dyna® Girl – eine in der Wäsche gewaschene Bikerin, die unter Bikern aufgewachsen ist und schon mehrmals quer durch die USA gefahren ist – davon mehr als ein Dutzend Mal nach Sturgis. Sie führte die Horde wild aussehender Biker mehr oder weniger blind auf kurvigen Straßen durch die Umgebung. An diesem Tag habe ich begonnen, die Frau zu fotografieren, die später meine Lebenspartnerin werden sollte.


Ich war der Rookie in diesem wilden Haufen, meine einzige Referenz war, dass ich ein paar Folgen von Sons of Anarchy gesehen hatte! Anfangs hat mich Shelly völlig ignoriert. Erst mehrere Monate und Treffen später stellten wir fest, dass wir vieles gemeinsam hatten, und sie fragte mich, ob ich nicht zu ihr in die Vereinigten Staaten kommen und bei ihr bleiben wollte. Es gibt Momente im Leben, da muss man sich entscheiden, ob man den Stier bei den Hörnern packen oder für immer einer verpassten Gelegenheit hinterher trauern möchte. Ich habe mich für das Risiko entschieden und bin von Frankreich nach Phoenix in Arizona gezogen. Ich habe nicht nur Shelly gewonnen, sondern auch viel über meine neue Heimat gelernt, über die First Nations, den Kampf der Frauen unter ihnen für Gerechtigkeit und natürlich auch über die amerikanische Biker Kultur.
Es gibt Momente im Leben, da muss man sich entscheiden, ob man den Stier bei den Hörnern packen oder für immer einer verpassten Gelegenheit hinterher trauern möchte.
Wir sind nach Sturgis, Daytona und zu jeder Art von Motorradtreffen gefahren, haben Texas, Arizona, Kalifornien und andere Bundesstaaten gesehen und dabei großartige Straßen durch glühend heiße Wüsten und über schwindelerregenden Pässe zwischen schneebedeckten Gipfeln erlebt. Ich habe geniale Bike Builder, meisterhafte Schrauber und unübertreffliche Lackkünstler jeden Alters kennengelernt. Meine Liebe für den Foto-Journalismus verschmolz mit meinem Interesse für Motorräder und machte schließlich einen Motorrad-Journalisten aus mir. Ich begann, meine Erlebnisse auf Motorradveranstaltungen und meine Erfahrungen bei der Begegnung mit interessanten Menschen aus der Motorrad-Welt für verschiedene Spezialzeitschriften aufzuarbeiten. Inzwischen bin ich der USA-Korrespondent für das französische Magazin Freeway und freier Mitarbeiter der kanadischen Zeitschrift Revolution Motorcycle Magazine sowie des US-Blattes American Rider.


In den USA wollte ich natürlich auch ein Motorrad, möglichst ein amerikanisches – mein Traum-Bike war eine Harley-Davidson Road King. Ich fand eine aus dem Jahr 2005, die trotz ihrer hohen Laufleistung in gutem Zustand war. Ende 2019 hatte ich dann die Möglichkeit, ein Exemplar aus dem Jahr 2016 mit weniger Kilometern auf der Uhr und einem besseren Motor zu kaufen – dank Mandi Love, einer Freundin von Shelly, die bei Chandler Harley-Davidson® arbeitet. Mit dem Kauf dieser Maschine bin ich auch Mitglied in der Harley Owners Group® geworden und dem Scottsdale H.O.G.® Chapter beigetreten. Auf diese Art bin ich auf das HOG® Magazin aufmerksam geworden, das dann später wieder in The Enthusiast® umbenannt worden ist.
Heute freue ich mich, meine Erfahrungen mit den Lesern von The Enthusiast teilen zu können. Wenn das Motorradfahren mein Leben entscheidend beeinflusst hat, dann hat der Klang der Viertakt-V-Twin-Symphonie für mich die Welt verändert.

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